Einige aktuelle Fakten zu Scotch Whisky, veröffentlicht von der Scotch Whisky Association:
Scotch Whisky macht 26 Prozent aller Lebensmittel- und Getränkeexporte des Vereinigten Königreichs aus. In Schottland, wo sich die 148 Destillerien der Branche befinden, sind 14.000 Menschen direkt in Gemeinden im ganzen Land beschäftigt, was zu insgesamt 41.000 Arbeitsplätzen in Schottland und 66.000 im gesamten Vereinigten Königreich gehört.
Scotch Whisky ist also ein wichtiger Wirtschaftsfaktor Großbritanniens. Über viele Jahre galt Scotch Whisky im Allgemeinen, und der Single Malt Scotch Whisky im Besonderen, als die Benchmark, wenn es um Qualität, Kontinuität und Verlässlichkeit in der Spirituosen- und Genusswelt ging. Lange Jahre konstant steigende Absatzzahlen und eine ebenfalls konstant wachsende Schar von Liebhabern zeugen von diesem glorreichen Aufstieg. Keine Kategorie der Spirituosenwelt hat über einen so langen Zeitraum ein so positives Image erlangt – und verstand es zu kultivieren.
Doch die Fassade beginnt abzublättern. Schon längst ist der Kauf einer Flasche Single Malt Scotch Whisky keine unbedingte Selbstverständlichkeit mehr, wenn es um Premium Spirituosen geht. Andere Kategorien und die lange Zeit verinnerlichte Selbstverständlichkeit (um das Wort „Überheblichkeit“ zu vermeiden) der Hersteller und Distributoren, dass „nur Scotch Whisky das Maß aller Dinge“ sei, beginnt nun langsam zu zerbrechen. Andere Whiskyhersteller der Welt, allen voran USA und Irland, und viele neue internationale Hersteller drängen auf den heiß umkämpften Markt. Und nicht nur sie, auch andere Kategorien der Spirituosenwelt gewinnen in der Gunst der Konsumenten und verdrängen den Scotch Whisky von der Spitze der Popularität.
Doch der Reihe nach. Scotch Whisky hat immer noch einen hervorragenden Ruf und eine treue Gefolgschaft, was die ungeheure Vielzahl an Messen und Tastings beständig wieder eindrucksvoll veranschaulichen. Doch schaut man etwas genauer hin, stellt man fest, dass der erste Eindruck täuscht.
Ein Blick genügt und man erkennt, dass die Zahlen im Abverkauf fast überall auf der Welt rückläufig sind. Wirtschaftliche Schwäche, gepaart mit Inflation und Überbeständen aus den Covid-Jahren, haben viel verändert. Die Einzelhändler verkaufen teilweise immer noch Kisten, die sie in den Jahren 2021 und 2022 gekauft haben, weil sie glaubten, dass sich die Kauftrends auch nach der Pandemie fortsetzen würden. Und die Käufer sind zu einem wirtschaftlich eingeschränkten, trotzdem ausgeglicheneren Konsumverhalten zurückgekehrt – sie trinken also oft noch immer aus ihren eigenen, panisch gekauften Vorräten.
Die Zeiten des Alleinanspruchs des Scotch Whisky als höchste Qualität im Segment sind vorbei. Die starke Konkurrenz durch Irish Whiskey und American Whiskey seit weit über einem Jahrzehnt, gepaart mit vielen neuen, interessanten Whiskys aus Asien und weiteren Teilen der Welt, und das gleichzeitig steigende Interesse an R(h)um und Agavenspirituosen sorgen derzeit für einen Rückgang. Die Angebotsvielfalt ist größer geworden und die Konsumenten nutzen dies aus!
Dazu kommt, dass das Trinkverhalten und die Wahrnehmung von Single Malt als „cooler drink“ bei jungen Konsumenten auf dem „absteigenden Ast“ ist. Die heutigen Trendsetter reden nicht mehr darüber. Die jungen Konsumenten entscheiden sich für Cannabis, Naturwein oder alkoholreduzierte oder sogar alkoholfreie Cocktails. Sie wählen immer weniger ein Getränk, das noch immer als Getränk eines „alten weißen Mannes“ wahrgenommen wird, egal wie sehr sich die Marketingabteilungen bemühen, eine vielfältige Kundenbasis anzusprechen.
Hinweise, woran man diese Entwicklungen erkennen kann
Wer noch vor Jahren Scotch Whisky kaufte, hatte die Auswahl aus vielen Originalabfüllungen mit Jahresangaben zur Länge der Reifung und jeweils einigen Finishes. Dazu kamen, besonders als Einzelfassabfüllungen, die Abfüllungen der Unabhängigen. Doch dann musste der geneigte Genießer erleben, wie uns die Industrie Abfüllungen ohne Altersangaben schmackhaft machen und dies mit der Aussage begründen wollte, dass die Lager mit „altem Whisky leer“ seien. Ein Rundgang durch die Warehouses konnte den Beobachter dies glauben lassen, doch beim genauen Hinsehen, erkannte man, dass immer noch genügend alte Fässer vorhanden waren. Nicht an vorderster Front, doch auf langen Wegen durch die Warehouses auffindbar. Fluch und Segen der Transparenz bei Führungen!
Dass dem so war, wurde umso deutlicher, nachdem nur wenige Jahre nach Einführung der NAS-Abfüllungen (No-Age-Statement) immer mehr Whiskys mit Altersangaben von 20, 30 oder noch mehr Jahren auf den Markt kamen und auch heute noch 40- und 50-jährige Whiskys mit beständiger Regelmäßigkeit auf den Markt kommen. Wenn es also damals keine älteren Bestände mehr gegeben hätte, wo kommen dann diese, heute teilweise sehr, sehr teuren Abfüllungen her? Es wundert, dass nicht schon viel mehr Verbraucher sich diese Fragen gestellt haben.
Und noch ein neues, diametrales Phänomen ist heute erkennbar: Statt NAS finden wir heute Altersanhebungen bei Whiskys (z.B. von 10 auf 12 Jahre) bei vielen Marken. Eine Folge der Überproduktion seit 2008/9 und der heute sich abzeichnenden abnehmenden Konsumentenzahl mit zurückgehenden Verkäufen? Die Lager sind heute nun mal voller Fässer und neue Lagerhäuser werden immer noch gebaut….
Was machen eigentlich die neuen oder wiedereröffneten Destillerien?
Derzeit ist eine erstaunliche Vielfalt an neuen oder wiedereröffneten Destillerien bereits mit dreijährigen, maximal fünfjährigen Abfüllungen auf dem Markt. Einige Destillerien haben, zur Etablierung des Namens, auch erst einmal mit zugekauften Single Malts anderer Destillerien eine Marke aufgebaut, bevor sie nach drei Jahren ihre eigenen Erzeugnisse auf den Markt bringen konnten.
Heute wird nicht nur eine Abfüllung je Sorte angeboten, jeder Whisky ist zumeist zusätzlich noch in diversen Fässern nachgereift – als eigenständige Abfüllung. Ein genialer Trick, der es erlaubt herauszufinden, welches Fass den passenden Charakter zum Destillat hat – und diese Versuche dann zusätzlich zu verkaufen. Gleichzeitig bedient man damit von Anbeginn an auch den „unstillbaren Hunger“ der Konsumenten nach immer neuen, innovativen Abfüllungen.
Wenn dann noch der Bezug auf die Gerstensorten, Torfsorten oder ein anderer lokaler Bezug (z.B. „Farmabfüllung“ vs. „zugekauftes Gerstenmalz“ oder Hefecharakteristik mit zugehörigen Fermentationszeiten) hinzukommt, kann man erahnen, wie viele unterschiedliche Abfüllungen alleine aus den neuen Destillerien Schottlands noch zu uns kommen werden oder bereits erhältlich sind. Und dabei beachte ich noch nicht die Sonderabfüllungen jedes Landes, in welches exportiert wird.
Bedenkt man dann, dass dies kein schottisches Phänomen ist, sondern alle Produzenten in allen Teilen der Welt sich derselben Taktik bedienen, kann man sich einfach vorstellen, wie viele unterschiedliche Marken und Sorten es auf dem hart umkämpften Markt gibt bzw. in absehbarer Zeit geben wird.
Doch wie kann man den Trend zum Single Malt Scotch Whisky wieder anheizen?
Ein Schritt, die Nachfrage wieder anzukurbeln, wird seit geraumer Zeit schon versucht: die Verwendung von Single Malt als Cocktailzutat. War es noch vor Jahren ein geradezu „diabolischer Akt“ schottischen Single Malt in Longdrinks oder Cocktails zu verwenden, so hat sich diese Einschränkung deutlich verändert. Selbst stark torfige Single Malts werden heute anstelle der sonst häufig verwendeten Blended Scotch Whiskys ohne Zögern als geschmacklich hochwertige Zutat eingesetzt. Und an heißen Tagen finden selbst in sehr exklusiven Bars die Single Malts mit Eiswürfel ihre begierigen Käufer. Das was bei Blended Scotch Whiskys schon lange etabliert war, die Verwendung von Eiswürfeln im Drink oder die Einbindung in Cocktails und Longdrinks, hat die elitäre Welt der Single Malt Scotch Whiskys längst erreicht.
Signature-Drinks der Single Malts, oftmals kreiert von „Größen der Barkultur“, sind heute als Alternative des Genusses akzeptiert und sind, insbesondere bei jüngeren Genießern, hoch angesehen. Warum auch nicht, ist Single Malt doch ein Genussprodukt und verdient es, in jeder Form dem Genuss zugeführt zu werden.
Der zweite Schritt war die Öffnung der Scotch Whisky Industrie in der Verwendung der Fässer. Zwar ist immer noch Eichenholz vorgeschrieben, doch dürfen heute bereits neue Fässer und Fässer mit Spirituosenvorbelegung Verwendung finden – so lange der Geschmack die Charakteristik des Scotch Whiskys nicht überdeckt. Calvados-, Cognac-, Armagnac-, Tequila-, Mezcal-, Grappa-Fässer… die Reihe ließe sich beliebig ergänzen. Hier haben internationale Whisk(e)yhersteller, zum Beispiel die Iren, die Festlandeuropäer oder die Australier, Pionierarbeit geleistet.
Weinfässer waren schon immer erlaubt, aber auch da übersteigt die Zahl der heute erhältlichen Nachreifungen bei Weitem die Zahl früherer Jahre. War eine Château d‘Yquem Nachreifung in den 1980er-Jahren bei Glenmorangie noch eine Seltenheit, finden heute Fässer aus fast jedem angesehen Château den Weg zum Whisky.
Unabhängige Abfüller – wer will noch mal, wer hat noch nicht
Noch etwas fällt in diesen Zeiten auf: die Zahl der unabhängigen Abfüller in allen Ländern steigt exponentiell an. Waren dies früher ausgesuchte, angesehene Wein- und Spirituosenhandelsfirmen mit langen, ja teilweise jahrzehntelangen Kontakten zur herstellenden Industrie, kann heute fast jeder in fast jeder Destillerie Fässer kaufen, dort reifen lassen und sie später unter seinem Namen abfüllen lassen. Alleine die Zahl der Eigenabfüllungen von Importeuren spricht hier schon eine deutliche Sprache.
Natürlich hat die SWA dies erkannt und, um dem Missbrauch zuvorzukommen, verboten schottischen Single Malt in Fässern direkt zu exportieren, doch heißt dies nicht, dass nicht jeder heute immer noch Fässer kaufen, diese in Schottland reifen und später in Flaschen abfüllen kann, um sie unter seinem eigenen Namen zu vermarkten. Die Destillerien und unabhängigen Firmen sind da gerne behilflich, stellen Kontakte her und helfen auch gerne, wenn außergewöhnliche Finishes den Single Malt vor Ort noch „veredeln“ sollen. Und wenn man selbst kein ganzes Fass kaufen möchte, kann man immer noch Fassteilungen oder anderweitige Anteile an einem Fass durch Broker erwerben. Nicht selten als „Kapitalanlage“ mit „hohen Renditen“ dem unwissenden Käufer angeboten, der natürlich davon ausgeht, dass die Reifung im Fass den Single Malt immer nur besser machen wird – nichts ahnend von den späteren Kosten (z.B. Alkoholsteuer, Flaschen, Etiketten, Transport, etc.) bei der finalen Abfüllung.
Interessant daran ist, dass sich die Frage aufdrängt, ob die Firmen dies für die Konsumenten machen, dies bewusst und gezielt als weiteren, neuen Verkaufsweg nutzen, oder ob die Überproduktion es für sie nicht sogar erforderlich macht, diesen Weg einzuschlagen. Können die Destillerien ihre bisherigen Produkte nicht mehr alleine über ihre Kanäle als Brennereiabfüllungen verkaufen und geben diese daher deshalb vermehrt an die Unabhängigen und Broker ab?
Dazu kommt ein weiteres Phänomen, dass immer mehr Abfüller heute Blended Malt Scotch Whisky auf den Markt bringen. Dies hat viele Vorteile: man kann als Hersteller weiterhin Single Malt aus verschiedenen Destillerien kaufen, blenden und dann sogar in Gebinden exportieren. Abfüllung und Versteuerung im Empfängerland, versteht sich. Was dort weiter mit diesen Whiskys passiert, überlässt man dem Käufer.
Diese Blended Malts dürfen dann in den Empfängerländern sogar noch weiterer Reifung (Finishes) unterzogen werden, auch in Fässern, welche in Schottland nicht für die Reifung erlaubt sind (z.B. Kastanie oder Akazie). Dabei verlieren einige nicht selten ihre bezeichnende Aromaprägung als Scotch Whisky. Nicht zu vergessen, dass oftmals auch noch weitere, andere Zutaten dem ehemaligen Scotch Whisky hinzugefügt werden. So entstehen heute „Welt-Whiskys“ oder Mischungen aus unterschiedlichen Spirituosenkategorien.
Eine bedenkliche Entwicklung, der man genaue Beachtung schenken sollte.
Fazit
Scotch Whisky ist ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig des Vereinigten Königreichs und befindet sich derzeit in einer interessanten, aber auch schwierigen Phase.
Viele, sehr viele neue Destillerien sprießen aus dem Boden, bestehende Anlagen werden wiedereröffnet oder erweitert, Investoren, ob als Gründer oder Abfüller, erhoffen sich das schnelle Geld und gleichzeitig steigt die Menge an produziertem Scotch Whisky für ein immer schwierigeres und kompetitiveres Marktumfeld – und dies bei derzeit noch immer steigenden Preisen für die Flaschen.
Steht uns also einer neuer „Whisky Lake“, wie schon Ende der 90er Jahre (Pattison Krise) des vorletzten und Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts, bevor?
Die Folgen dieser beiden „Lakes“ waren identisch (Destillerieschließungen, -verkauf oder -abriss, Arbeitslosigkeit in der Industrie und der verknüpften Wirtschaft, Preisverfall, etc.) und sollten eine Warnung an alle sein. Viel hängt vom Durchhaltewillen und -vermögen der diversen Investoren und ihrem sensiblen, transparenten und nachhaltigen Umgang mit den Konsumenten ab. Es gilt nachhaltige, loyale Konsumenten für ein transparentes, klar strukturiertes, bezahlbares und geschmacklich hochwertiges Destillat zu gewinnen. Der Profit kommt dann (fast) von ganz alleine.
Wie lange werden die Konsumenten die heutige Situation mittragen? Die eingefleischten Sammler, Kenner, Genießer und „Scotch Whisky Fanatiker“ werden sicher weiter folgen (und kaufen) und noch einige Zeit die steigenden Preise und immer mehr Abfüllungen, vielleicht schon leicht murrend, akzeptieren. Aber wer kann am Ende die wachsende Vielfalt an Abfüllungen noch überblicken, wer kann sie sich noch leisten? Wie lange noch? Und was dann?
Die Antwort auf diese Frage wird die Zukunft der Scotch Whisky Industrie bestimmen.
Ihr nachdenklicher Jürgen Deibel